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Erwachen

Quenith
Ongoing 5246 Words

Erwachen

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Grüne Wachquaste, auch Dunkelerdepilz, ist eine Pilzgattung aus der Familie der Agricaceae. Die grüne Wachquaste gedeiht an dunkeln und feuchten Orten, vorzugsweise in küstennahen Höhlen mit schwarzem Erdboden. Sie wird etwa zwei Handbreit groß und rollt sich muschelförmig am Rand ein, wodurch die Lamellen nur schwer zu sehen sind. Der Stiel und die Lamellen sind fahl-grau, der Hut selbst schwärzlich mit einem grünem Schimmer, wobei er am Übergang zu den Lamellen ebenfalls in den gräulichen Farbton übergeht. Der Verzehr ist unbedenklich und ihm wird, insbesondere wenn er ausgekocht wird, eine belebende Wirkung nachgesagt. Die Essenz der grünen Wachquaste dient in der Arznei als mittelstarkes bis starkes Stimulans und wirkt als Sympathomimetikum positiv auf die Vigilanz, sowie den Herzschlag beschleunigend. Bei der Extraktion der Essenz ist jedoch einiges an pharmazeutischen Fingerspitzengefühl und Erfahrung erforderlich, um die gewünschte Konzentration zu erhalten. Überdosierungen können zu starkem Herzklopfen und Paranoia führen. Einige Quellen berichten sogar vom Tod der Probanden.

- Helvius P. et al. (VI. Zyklus, -132a): Enzyclopedia Basidiomycota, S.427f

 

- I -

Als er das Bewusstsein zurückerlangte fand er sich unter einer großen Buche wieder. Ohne Wissen darüber, wer er war und auch ohne Wissen darüber was passiert ist. Noch sah er alles wie durch einen grauen Schleier. Die Augen offen zu halten, fiel ihm schwer. Der Erwachte zerrte sich langsam hoch und setzte sich voller Mühe auf. Auch wenn er allem Anschein nach nicht sehr alt war, fühlte er sich dennoch wie ein Greis. Alle Muskeln und Gelenke schmerzten bei jeder noch so kleinen Bewegung. Alles war steif und sein Herz raste allein von der Anstrengung, welche das Aufsetzen mit sich brachte. Der Baum, an dem er lehnte, kleidete seinen Leib in buntem Laub. Müden Blickes begann er sich zu mustern. Außer von roten, gelben und braunen Blätter war er komplett unbedeckt. Verschorfte Kratzer an Schultern und Hüften gaben ihm ein Rätsel auf. Doch die vielen Eindrücke bereiteten ihm pochende Kopfschmerzen. Aber der graue Schleier, der vor kurzem noch seine Augen verhüllte, lichtete sich langsam. Der Mann fasste sich ein Herz und sah sich angestrengt um. Dabei entdeckte er ein paar zerlumpte Fetzen, welche als Bekleidungsstücke durchgehen konnten. Sie waren übersäht mit Erde und noch mehr feurig buntem Laubwerk. Die großen Wurzeln der alten Buche durchbrachen im Umkreis von vielen Metern immer wieder den Erdboden. Dabei machten sie den Eindruck, als wollten sie die verlorenen Stofffetzen unter dem kühlen dunklen Erdboden vergraben.

Das Anziehen der Kleidung fiel dem langsam immer munterer Werdenden schon einen Hauch leichter. Die Muskeln wurden mit jeder gezielten Bewegung wärmer, bis er sich schließlich wieder gewandter fortbewegen konnte.

Angezogen erblickte er jetzt nicht nur den mächtigen Baum, der aussah als wäre er der König des allen Gewächses im ganzen Wald. Der Unwissende erblickte nun auch den näheren Umkreis. Die mächtige Buche war der einzige Baum der seine Blätter verlor und als Laub in den Farben von Feuer zu Boden warf. Kaum ein Ast trug mehr ein Laubkleid und im Radius von mindestens fünf Manneslängen um die Buche herum bildete sich ein symmetrischer Kreis aus farbenprächtigem Laub.

Die ersten Schritte waren noch etwas unbeholfen, zumal das Gelände leicht abschüssig war und die Erde locker. Kleine bis mittelgroße Felsen zierten die Stellen, an denen das Gefälle besonders zunahm. Im Laub, einige Meter entfernt von ihm, fand er eine Erhabenheit. Es sah fast so aus, als würde sich etwas Kleines unter dem dichten Blattwerk verstecken. Knapp vor der erhabenen Stelle kniete er sich nieder. Der Boden war hier nicht kalt, wie an der Stelle, an der er erwachte. Der Untergrund war vielmehr ungewöhnlich warm. Er bemerkte nicht, wie sich der Stoff seiner Hose langsam vollsog. Ohne viele Gedanken zu verlieren, wanderten seine Hände unter den Laubhaufen. Er fühlte weiche, nasse und warme Strukturen und erschreckte. Sein Herz begann wieder zu rasen, wenngleich nun keine körperliche Anstrengung mehr der Grund dafür war. Erschrocken betrachtete der Mann seine Hände. Rot. Benetzt mit Blut. Ebenso seine durchtränkte Hose. Viele Gedanken blitzten nun wieder in seinem Kopf auf. Doch es waren zu viele und er konnte sie nicht ordnen. Eine Brise von Westen kam und fegte etwas Laub hinfort. Plötzlich blickten ihn zwei weit geöffnete Augen an, die nun zum Vorschein kamen. Erneut fuhr die Angst in ihm hoch. Doch es war zweifellos ein lebloser Blick. Ein lebloser Blick eines Wildtieres. Eine Hirschkuh offensichtlich. Zumindest ein etwas größerer Teil von ihr.

Etwas beruhigt darüber, dass hier doch nur die Reste eines toten Wildtieres lagen, fasste sich der immer noch etwas Blasse sich seinen gesamtem Mut zusammen und versuchte das verbliebene Laub von dem reglosen Tierkadaver zu entfernen. Seine Neugierde übertraf den anfänglichen Schrecken, doch unter dem restlichen Laub befand sich lediglich der Kopf und der Brustkorb des Tieres. Beides war zwar noch an einem Stück, doch der Brustkorb war weit aufgerissen. Das Innerste des Rehs war zum Teil offen gelegt, doch der Rest war verschwunden. Was auch immer dem Tier so zugesetzt hat, es war fast sonderbar, dass dem Unwissenden nicht selbiges widerfahren war. Sein Herz raste wieder mehr und die Tatsache, dass er von sich selbst und den Geschehnissen um sich herum kein Wissen hat, beunruhigte ihn. Auch die Tatsachen, dass die Kälte zunahm und die Sonne bald nicht mehr zu sehen sein wird, bereiteten ihm Unbehagen. Langsam wurden die immer länger werdenden Schatten eins mit der Dunkelheit und schließlich wanderte er durch die Nacht.

- II -

Eine schnelle rhythmische Abfolge von gleich klingenden Lauten durchdrang den nächtlichen Wald. Es waren die Geräusche des Laufens. Die leichtfüßige Schrittfolge war kaum wahrnehmbar und dennoch verteilten sich die dadurch ausgelösten Stoßwellen über den schlafenden Boden des Waldes.

Dalindra hatte weder Hast noch Angst, da sie wusste, dass ihr in der Umgebung der Fischersiedlung kein Unheil auflauerte. Doch der leichtfüßige Lauf war einfach ihre flinke Art der Fortbewegung. Ihre nähere Umgebung wurde durch eine kleine Glasphiole ausgeleuchtet, welche sie in ihrer Hand mit sich führte. In diesem gläsernen Behältnis befand sich eine viskose lumineszierende Flüssigkeit. Das kleine Fläschchen in ihrer Hand strahlte heller als eine Fackel, das Licht war jedoch kühler und weißer, fast bläulich.

Die Läuferin kannte das Gebiet um das Fischerdorf bereits seit ihrer frühen Kindheit und könnte sich sogar mit verbundenen Augen fortbewegen. Sie genoss dennoch das Scheinen der Phiole, das von ihrer Hand ausging.

Plötzlich spürte sie wie sich der Untergrund, auf dem sie sich so schnell fortbewegte, veränderte. Eine Unmenge an Laub machte in Kombination mit der feuchten Nachtluft den Boden rutschig. Doch zu dieser frühsommerlichen Jahreszeit sollten keine so großen Mengen an Laub auf dem Boden liegen. Dalindra verlangsamte ihren Schritt, bis sie zum Stillstand kam. Sie blickte sich um und bemerkte einen Baum der seine Blätter abwarf. Es war weit und breit der einzige Baum, der nur noch seine nackten Äste darbot.

Sie öffnete behutsam die Glasphiole in ihrer Hand. Mit ihrer anderen Hand schnürte sie einen der drei Lederbeutel auf, die an ihrem Gürtel befestigt waren. Vorsichtig wanderten ihre Finger in den Beutel und ertasteten den Inhalt. Es machte den Eindruck, als ob sie etwas zu zählen versuchte, ohne dabei einen Blick in ihren Lederbeutel zu vergeuden. Nach wenigen Momenten zog sie die Finger wieder heraus, verschloss den Beutel einhändig und streute mehrere Samenkapseln in die Phiole, die daraufhin noch viel heller zu leuchten begann. Das Waldstück war nun so gut ausgeleuchtet, als würde ein kompletter Fackelzug zwischen den Bäumen umherwandern.

Kurz darauf entdeckte die Druidin eine Unebenheit. Es war eine aufgewühlte Stelle im Laub, auf die sie sich einige Schritte hinbewegte. Für einen Augenblick fuhr ihr ein Schrecken durch den Körper, als sie den ausgeweideten Tierkadaver sah. Dennoch näherte sich Dalindra weiter heran. Sie begann damit das tote Reh und alles rundum zu inspizieren. Der Körper wies zu ihrer Verwunderung nicht nur Bissspuren, sondern auch Wunden auf, welche nur von großen Klauen stammen konnten. Doch ihr war in ihrer Heimat noch nie ein Tier untergekommen, welches seine Klauen zur Jagd einsetzt. Das einzige Lebewesen, nebst Menschen, war hier nur der Wolf, der ein Reh hätte reißen können. Doch dafür waren die Wunden viel zu fulminant und großflächig. Da sie wissen wollte, was hier passiert ist, ergriff sie zielstrebig ihre Sichel, welche an ihrem Oberschenkel nebst weiteren Phiolen befestigt war.

Grazil gewann die Druidin ein bisschen Distanz zu dem Kadaver und köpfte mit ihrem Schneidwerkzeug einige gelb-lila Blüten und trank sie mit einem Schluck der lumineszierenden Flüssigkeit. Dalindra kniete nieder und begann sich mit einem Lied in einen oberflächlichen Trancezustand zu versetzen und schloss ihre leuchtend grünen Augen.

Wenige Momente später öffnete sie nun langsam wieder ihre Augen. Doch nun verging ihre grüne Farbe und sie strahlten in einem blassen Purpur. Weder Struktur, Iris noch Pupillen waren zu sehen. Es war vom purpurnen Schleier der Erkenntnis verhüllt.

Die in Trance versetzte nahm nun wieder Schritt in Richtung Kadaver auf und berührte das Tier sowohl mit ihrem Zeige- als auch Mittelfinger zwischen den leblosen Augen. Nun begannen auch die Augen der Hirschkuh langsam Purpur aufzuleuchten. Sowohl aus den Augen von Dalindra als auch aus denen des Rehs drangen Lichtstrahlen hervor. Die Strahlen trafen sich und formten ein schimmerndes Abbild der letzten Momente des Tieres um die beiden herum. Die Sehende konnte vernehmen, wie ein ungewöhnlich großer Bär voller Blutdurst das Tier riss, zerteilte und sich an seinem Fleisch zu laben begann. Nach kurzem ließ der Bär jedoch von seiner Beute ab. Er fing an Rückwärts zu stapfen, in Richtung der alten Buche. Wankend, als hätte er seinen Gleichgewichtssinn verloren. Als er mit seinem imposanten Körper gegen den Baum hinter ihm stieß begann er zu brüllen. Lichtblitze umgaben ihn und rangen den Bären in einer hellen Explosion nieder. Nun lag jedoch kein Bär mehr vor dem Baum, sondern ein Mensch. Regungslos und ohne Bewusstsein.

Von den Lichtblitzen erschöpft war jedoch nicht nur der Mensch, sondern auch die alte Buche. Ihre Blätter verfärbten sich innerhalb von Sekunden und fielen als Laub zu Boden. Sie bedeckten sowohl den Teil des übrig gebliebenen Rehs als auch den zurückverwandelten Menschen.

Dalindras Vision endete.

Die purpurnen Lichter verschwanden und die Augen der Hirschkuh bekamen wieder einen toten, starren Blick. Auch die Augen von Dalindra verwandelten sich wieder zurück und ihr wunderbares Grün kam auf ein Neues zur Geltung.

Nun wusste sie was geschehen war. Ein Formwandler. Jedoch schien er selbst noch nichts von seinem Glück zu wissen oder aber diese Fähigkeit nicht gut zu beherrschen. Sonst hätte er nicht das Bewusstsein verloren.

Sie wollte unbedingt mehr über ihn und die Umstände, die ihn hierher geführt haben in Erfahrung bringen. Einem Formwandler war die junge Dalindra nur ein einziges Mal während ihrer Kindheit begegnet. Sie malte sich bereits jetzt aus, was sie alles von ihm zu lernen vermochte. Selbst wenn er unerfahren wäre.

Die Druidin konnte keine Spuren mehr von ihm finden. Sie wusste aber, der einzige Ort an den er ungehindert hätte fliehen können, ist ihre Fischersiedlung, ihre Heimat. Fal Angra. Wenn sie sich beeilte, könnte sie noch bei Anbruch des Morgens wieder zuhause sein.

- III -

Eine frische Brise bliess die morgendliche Luft vom riesigen Weitwasser See quer durch Fal Angra. Die Luft war feucht. Der Geruch von Fisch, welcher von den Fischfängern bereits in der Nacht zum Trocknen aufgehängt wurde, vermischte sich mit der dampfigen Seebrise.

Die Fischersiedlung Fal Angra besteht schon seit mehreren hundert Jahren. Ebenso die etwas entfernte zugehörige Kleinstadt Angra. Sie war auch das Hauptstädtchen der gleichnamigen Provinz. Die in die Jahre gekommenen Gebäude von Fal Angra wirken zwar renovierungsbedürftig, jedoch nicht verfallen. Sie verbreiten ihren eigenen Charme. Hier scheint die Zeit noch still zu stehen.

Die Sonne war noch nicht lange über dem Horizont und färbte den morgendlichen Himmel in einem zarten Rosa. Dennoch verließen bereits die ersten Übernachtungsgäste das kleine Gasthaus "Zur gepfählten Forelle". Manch einer torkelte noch vom feuchtfröhlichen Abend zuvor.

"Fisch! Fisch!", schallte es vom schräg gegenüberliegenden Fischstand. "Vergesst eure Wegzehrung nicht! Alles zu besten Preisen! Und Stockfisch sogar zum halben Preis." Die kratzige Stimme des Fischhändlers war nicht einmal vom nahegelegenen Wasserfall zu übertönen. Doch nur wenige der Durchreisenden blieben stehen und ließen sich auf einen Feilhandel ein. Die meisten machten sich gleich auf, durch das Tor der kleinen Steinmauer, um sich auf den Weg zu machen.

Die Fischersiedlung war von einem Steilhang umrundet und hinter dem Tor ging ein mit Kies und Steinen befestigter Pfad die Klippen des Hanges in Serpentinen hinauf.

So verließen die Reisenden Fal Angra wieder. Wie an fast jedem anderen normalen Tag. Doch einige Fremde, wie auch einige der Dorfbewohner, versammelten sich um das Häuschen der hiesigen Heilerin. Sogar der alte Leuchtwart spähte von seinem kleinem Hafenturm aus zur moosbedachten Hütte der Heilerin.

"Sucht das Weite! Verschwindet!", fauchte die schon ergraute Heilerin. "Hier gibt es für euch heute nichts zu sehen." Noch mitten im Satz knallte sie die knorrige Holztüre zu, sodass die Fensterbänke zu wackeln begannen. Neugierig über den erschöpften Fremden den sie heute frühmorgens in ihre Behausung gezerrt hatte, löste sich die Versammlung nur langsam auf. Doch niemand wollte es sich mit der alten Kräuterhexe verscherzen und so zogen auch die letzten Reisenden von dannen und die Dorfbewohner gingen wieder ihrem Alltag nach.

- IV -

Dalindra ging schnellen Schrittes an der Hütte des Brückenwarts vorbei, welche sich am oberen Ende des Weges befand, der die Klippen hinunter nach Fal Angra führte. Der Brückenwart sah mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster des Zollhäuschens. Dalindra begrüßte ihn im Vorbeigehen mit einem Kopfnicken. Ehe er die Begrüßung erwidern konnte, war sie schon hinter der Brücke verschwunden.

Es war frühmorgens und die Sonne küsste noch nicht einmal die Bäume, welche oben an der Klippe standen. Lediglich der staubige Pfad hinab nach Fal Angra ward durch die Sonne beleuchtet. Einige gepflasterte Steine erleichterten den Abstieg und bereits auf halben Weg kamen ihr die ersten Leute entgegen, die aus der kleinen Küstensiedlung abreisten. Das Gebrumme über einen Fremden und die aufgebrachte Dorfheilerin Ferisea war nicht zu überhören.

Die junge Druidin reimte sich ihren Teil zusammen und innerlich wusste sie, dass es der Formwandler sein musste. Doch der Gewissheit konnte sie sich nur sicher sein, wenn sie sich selbst von ihrer Annahme überzeugte und so nahm sie noch etwas mehr Tempo auf. Die letzten Serpentinen hinab überwand sie eilends, dennoch fühlte es sich unsagbar langsam an. Sie passierte den Eingang zum Dorf und begab sich auf direktem Wege zur Hütte der Heilerin.

Behutsam öffnete Dalindra die Türe. Sie war zwar voller Aufregung, doch zu oft schon wurde sie von der Dorfheilerin für ihre ruhelose Art gemaßregelt. Genauso vorsichtig wie die Druidin die Türe geöffnet hatte, schloss sie diese auch wieder. Gleich auf den ersten Blick sah sie, dass der Formwandler tatsächlich seinen Weg in die Behausung der Heilerin gefunden hat.

"Pssstt, nicht so stürmisch!", kamen ihr sofort die laut geflüsterten Worte von Ferisea entgegen. "Kind, wie oft habe ich dir gesagt, dass...", die Heilerin stoppte. Der Fremde bewegte sich und ächzte, doch nur Augenblicke später schlief er wieder weiter. "Wie oft habe ich dir gesagt, dass du..."

"Ja, ich weiß", Dalindra schnitt ihr das Wort ab, "Dass du mich beim Arbeiten nicht aufschrecken sollst."

"Und, dass du mich immer zu unterbrichst, kann ich auch nicht ausstehen."

"Ich weiß." Die Demut der Druidin hielt sich in Grenzen und als gleich, machte sie sich schon einige Schritte näher an das Krankenbett heran.

Dalindra blickte sich um. Es sah aus als hätte der Blitz eingeschlagen. Die Luft war feucht und stickig. In der kleinen Küche dampfte es noch. Doch Lebensmittel wurden hier schon lange nicht mehr gekocht. Alles ist vollgeräumt mit Kräutern. Auch Phiolen standen herum. Diese waren teils gefüllt, teils leer oder verschmutzt. Dicht an dicht standen Apparaturen, welche zum Herstellen von Essenzen dienten. Sie setzten sich aus vielen gläsernen Behältnissen und noch mehr gläsernen Röhren zusammen. In einem der Behältnisse blubberte eine grünlich schimmernde, trübe Flüssigkeit über einer Kerze. Der Dampf der Flüssigkeit fing sich in einer großen Röhre, welche zuerst senkrecht nach oben ragte und anschließend steil nach unten auf eine Phiole zielte. Dort wurde der kondensierte Dampf nun in Form einer klaren, blass-grünen Flüssigkeit aufgefangen. Von der Küche aus erstreckte sich quer durch das Haus eine Spur von verschütteten Pulvern und zu Boden gefallenen Kräutern. Diese Spur erstreckte sich bis hin zum Krankenbett. Über dem Bett hingen verschiedene streng duftende Kräuter vom offenen Dachstuhl. Sie waren mit Schnüren an den Balken befestigt. In den Regalen hinter der Schlafstätte befand sich ein Sammelsurium von verschiedenen Verbandsstoffen, Pulvern und Tinkturen. Alles waren Materialien, welche die alte Hexe schnell bei der Versorgung von Patienten benötigen könnte.

Die Druidin konnte ihre Augen nicht von der verunstalteten Kräuterküche lassen, die Ferisea sonst immer in penibler Ordnung hielt. Letztlich blieb ihr Blick auf der blubbernden Flüssigkeit in dem Glasbehältnis über der Kerze ruhen.

"Starrt nicht so, oder wollt ihr blind werden?", fauchte die Heilerin. Vermutlich nur ein schlechter Scherz, dennoch nicht ganz gewiss. "Seid ihr nun zum Helfen oder zum Glotzen hier? Ich benötige dringend mehr grüne Wachquaste, um ihn behutsam aus seinem tiefen Schlaf wecken zu können." Ferisea zeigte mit dem tropfenden Kochlöffel, den sie in der Hand hielt, hinüber zu dem Fremden. "Ich kann ihn in seinem momentanen Zustand nicht länger als ein paar Momente aus den Augen lassen."

"Grüne Wachquaste?" Dalindras Blick war fragend.

"Himmel, Donner und Blitze! Kind! Willst du mir jetzt etwa weiß machen, dass du mit dem Kapitel über die Pilze noch immer nicht fertig bist? Wie lange ist es her, dass ich dir aufgetragen habe dich mehr über Pilze schlau zu machen?" Mit jeder Frage die sie ihr stellte wurde sie zorniger und lauter. "Zwei Monate? Merke dir! Kräuter sind..."

"Kräuter sind nicht alles." Wieder unterbrach die Schülerin ihre Mentorin.

"Blitze noch eins, ja!", sagte die Alte zornig. "Auch wenn du deine Handhabe mit den Kräutern mittlerweile fast perfektioniert hast. Talent und Können in einem Gebiet, oder von mir aus auch in ein paar mehr Gebieten, machen dich am Ende das Tages nun mal nicht zu einer vollwertigen Heilerin."

"Doch, ich erinnere mich wieder an den Teil über die grüne Wachquaste." Dalindra lügte.

"Nun gut." Ferisea merkte es. "Hüte dich vor den Knöchelwebern", fügte sie noch hinzu.

Dalindra verfiel in Gedanken. Sie musste sich noch über die grüne Wachquaste schlau machen, und das rasch. Vermutlich wäre es auch besser für sie, sich zeitnahe mit den anderen Pilzen zu beschäftigen, dachte sie. Dann schweiften ihre Gedanken wieder zu dem Fremden ab.

"Seid ihr festgewachsen? Los! Eile dich! Ich möchte genauso dringend wie du wissen wer Er ist. Ich zähle jetzt auf dich." Mit diesen Worten komplimentierte sie die junge Druidin wieder hinaus. Die Tür fiel hinter ihr widerwillig, jedoch wie von Zauberhand zu. Nun stand sie wieder draußen und hatte fast noch mehr Fragen als wie zuvor.

- V -

Unzufrieden über ihren momentanen Wissensstand, machte sie sich auf, zum Gasthaus zur gepfählten Forelle. Wenngleich Dalindra von Ferisea seit ihrer frühen Kindheit großgezogen wurde, nachdem sie sie im Wald fand, hatte sie seit einigen Jahren ein eigenes kleines Zimmer, und Ferisea wieder ein Krankenbett. Aus Dank für die vielen unzähligen Behandlungen für seine mit Rückenschmerzen geplagten Frau, stellte ihr der Gastwirt um sonst ein Zimmer zur Verfügung. Zwar kaum mehr als eine etwas bessere Abstellkammer, aber ausreichend.

Glücklicherweise brauchte sie nicht lange, da das Gasthaus nur etwas die Straße entlang, schräg gegenüber dem Häuschen der Heilerin lag. Zielstrebig öffnete Dalindra die Türe und stand direkt im Gastraum. Das Gasthaus war rustikal ausgestattet. Die Einrichtung war abgelebt und auf dem Boden befanden sich Sägespäne. Bis auf zwei Trunkenbolde, die nicht einmal durch die als unabsichtlich getarnten, aber dennoch vorsätzlich verübten Hiebe mit dem Besenstiel des Hausmädchens wecken ließen, war niemand zugegen. Die Hausmagd seufzte nur und kehrte weiter.

Ohne sich lange aufzuhalten, ging die Druidin zur Treppe am hinteren Ende des Raumes, um in ihre eigenen vier Wände zu gelangen. Die alten Holztreppen knarzten, selbst und ihrem geringen Gewicht. Ihr Zimmer war das erste, gleich nach den Treppen. Nachdem sie hinter sich abgeschlossen hatte, konnte sich Dalindra kaum mehr umdrehen. Die Regale gingen über vor Bücher und Manuskripte häuften sich auf dem Boden und unter ihrem Bett. Auch das Licht wich langsam den Büchern, die sich ebenso vor dem Fenster stapelten.

"Pilze... Pilze...", murmelte Dalindra vor sich hin, als sie sich durch unzählige Seiten hindurchblätterte und dabei den Staub aufwirbelte, der an den Seiten haftete. "Encyclopedia Basidiomycota, hier könnte etwas verwertbares sein."

Das Buch war riesig, fast schon ein Foliant. Doch hatte die Druidin rasch die richtige Stelle gefunden.

"Grüne Wachquaste..." Natürlich! Wie konnte mir das nur entgehen? Dunkelerdepilze. Die Hauptzutat des Wandersmanneintopfes. Grüne Wachquaste, wer denkt sich denn sowas aus?

In der Tat war die Bezeichnung grüne Wachquaste nichts anderes als ein Synonym für Dunkelerdepilze, welche hier überall in der Gegend auf der dunklen Erde in der Nähe von Höhlen gedeihen. Sie hatten tatsächlich einen sanften Grünton und wirkten belebend, weshalb sie auch zuhauf in den Wandersmanneintopf purzeln, um die müden Geister der Reisenden wieder zu wecken.

Ich muss sehen ob noch welche im Lager sind.

Dalindra stellte das Buch blitzartig zurück, verlies ihr Zimmer und eilte wieder in den Gastraum hinunter, wo die zwei Schluckspechte noch immer schliefen.

Gilios der Gastwirt stand mittlerweile auch hinter der Schanktheke, wischte Gläser und polierte Besteck. Wie so oft, hatte er sich am frühen Morgen kurz unter der Theke hingelegt und ein paar Stunden gedämmert, bevor er sich an die letzten morgendlichen Aufräumarbeiten machte. Gilios war ein großer, etwas dicklicher Mann, und wenn er Haare auf dem Kopf hätte, dann würde er sogar zu sehen sein, wenn er hinter der Theke schlief.

"Sind noch Dunkelerdepilze auf Lager?"

"Guten Morgen, Dalindra."

"Verzeih, guten Morgen. Hast du noch Dunkelerdepilze?"

"Huu- uaah ahh", Gilios gähnte gemächlich.

"Bitte, ich brauche sie dringend."

Noch hörte der verschlafene Gastwirt nicht den nervösen Unterton der jungen Druidin. "Dringend? Bist du denn bei deinem nächtlichen Ausflug so weit herumgekommen, dass du nun so erschöpft bist und dringend eine große Portion Wandersmanneintopf brauchst, um wieder zu Kräften zu kommen?" Gilios konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, da er Dalindra absichtlich auf die lange Folter spannte und Spaß daran hatte, zuzusehen wie sie immer angespannter wurde.

"Ich brauche die Pilze für Ferisea. Für den Mann der seit letzter Nacht in ihrem Krankenbett liegt."

"Ahh, der Fremde. Er war hier drinnen letzte Nacht das größte Gesprächsthema. Keiner konnte sich erklären, wer er ist." Gilios legte das Geschirrtuch zur Seite, als er mit dem Polieren des letzten Bestecks fertig war. "Dann will ich dich nicht länger auf die Folter spannen. Im Keller hinter den Bierfässern sollten noch ein paar reife Dunkelerdepilze sein, bitte lass mir..."

"Danke!", Dalindra schnitt ihm das Wort ab und stürmte los.

Gilios schnappte sich noch einmal das Tuch und begann über einen hartnäckigen Fleck zu polieren, den er auf einem der Löffel übersehen hatte.

Zu der Treppe die in den Keller führte, gelangte man durch eine Tür hinter der Schanktheke. Die Stufen gingen steil hinunter. Bis auf den Lichtschein, der durch die Kellerfenster hineinfiel, gab es keine Beleuchtung. An den Steinwänden bildeten sich Wasserperlen von der feuchten Luft.

Dalindra ging an den Unmengen von Bierfässern vorbei, welche in der Mitte des Raumes Reihe für Reihe aufgestellt waren. An den Seiten des Raumes waren Regale mit Lebensmittel und allerlei Gefäßen. Am Ende des Kellers war ein Regal mit Kisten, die zu kleinen Beeten umfunkioniert waren. Sie waren mit fast schwarzer Erde gefüllt und standen abseits jedes Lichts. In den obersten Reihen des Regals war nichts außer Erde zu erkennen und je weiter Dalindra ihren Blick nach unten wandern ließ, desto größer wurden die Pilze, die aus der Erdoberfläche sprossen. Sie schimmerten schwach grün. Ganz unten waren die reifen Pilze. Groß, mit dicken Stämmen und einem fleischigen grünlichem Pilzhut.

"Grüne Wachquaste...", murmelte Dalindra vor sich hin. Sie setzte ein heimliches Lächeln auf, griff die größten Pilze unten am Stiel und zog sie mit einer Drehbewegung aus der Erde heraus, um sie nachher in ihrer kleinen Hüfttasche zu verwahren. Anschließend ging sie wieder nach oben.

"Du hast mir doch wohl hoffentlich noch ein paar Pilze übrig gelassen?", fragte Gilios. "Ich erwarte ab Mittag wieder viele hungrige Gäste. Heute sollten viele Händler mit ihren Güterkarren Fisch von hier nach Angra liefern."

"Ja, sicher doch", Dalindra wusste, dass er bestimmt nur noch einen kleinen Topf mit den übrigen Pilzen füllen konnte.

Die zwei übrigen Gäste, immer noch angetrunken von letzter Nacht, quälten sich gegenseitig stützend langsam zum Ausgang hin. Dalindra überholte sie, winkte Gilios kurz zu und öffnete die Tür. Das Licht fiel hinein und blendete die beiden Trunkenbolde, welche sich daraufhin krächzend ihre Augen mit den Händen bedeckten. Dalindra bekam das nicht mehr mit, sie war schon zur Tür hinaus.

- VI -

Ferisea stand in der Kräuterküche mit dem Rücken zur Tür als Dalindra das Haus betrat. Wieder blubberte es in der Küche, aber diesmal in anderen Behältnissen. Weißer Dampf stieg auf und die Luft war noch wärmer und feuchter als zuvor. Der Fremde lag immer noch bewusstlos im Bett. Seine Augen waren geschlossen, doch unter den Liedern bewegten sich die Augäpfel, als ob er schnell vorbeigaloppierende Pferde beobachten würde.

"Du warst genau so schnell wie ich mir dachte.", sagte Ferisea.

"Und du wusstest, dass grüne Wachquaste nur ein Synonym für Dunkelerdepilze ist und Gilios sie zuhauf im Keller hat?"

"Natürlich."

"Und wenn ich nun losgegangen wäre welche in der Umgebung zu suchen?" Die Druidin klang verärgert.

"Dann wusstest du zumindest, dass du auf die Knöchelweber achten solltest, wenn du in der Nähe einer der Küstenhöhlen bist."

"Ich dachte du bräuchtest sie schnell?" Dalindra wurde lauter.

"Nun, du warst auch schnell, oder?" Die Heilerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

"Und wenn ich doch tatsächlich losgelaufen wäre und..."

"Dann hätte ich nach Gilios rufen lassen und mir die Pilze bringen lassen", unterbrach sie Dalindra "und du hättest hinterher noch besser über die grüne Wachquaste Bescheid gewusst." Ferisea drehte sich mit einem Holzbrett zu Dalindra um und konnte sich ihren erheiterten Gesichtsausdruck nicht verkneifen. "Gib den Pilz darauf, Kind". Feriseas belustigter Ausdruck verstärkte sich erneut, als sie den vollen Beutel Pilze bei Dalindra sah und begann belustigt zu schnauben. "Ich sagte bring mir grüne Wachquaste und nicht beraube Gilios. Hast du ihm denn noch Pilze gelassen?"

Dalindra errötete und blickte noch finsterer, "Ja! Habe ich." Sie legte den Beutel trotzig auf den Beistelltisch in der Kräuterküche und stapfte demonstrativ ein paar Schritte von Ferisea weg.

"Wie dem auch sei", die Stimme von Ferisea wurde wieder etwas ernster, "ich werde nun etwas Essenz aus der grünen Wachquaste extrahieren. Sieh mir zu wenn du etwas lernen möchtest." Ferisea wusste, dass Dalindra noch nicht so weit war und noch keine Erfahrung vom Herstellen von Essenzen hatte. Sie erklärte absichtlich nichts um Dalindra ihr Unwissen über die Gebiete, mit denen sie noch nicht so vertraut war, vorzuführen. Sie erhoffte sich dadurch, dass Dalindra aus verstecktem Zorn über ihr Unwissen angespornt wird, sich auch mit den Dingen zu beschäftigen, für die sie nur geringeres Interesse hegte.

Dalindra stand wortlos da und blickte Ferisea über die Schulter. Sie fragte nichts, um ihr mangelndes Wissen nicht preis zu geben. Dennoch versuchte sie jeden Handgriff nachzuverfolgen. Ferisea griff einen Pinsel, an dessen Rückseite eine kleine krumme Klinge war, mit welcher sie zuerst den Stiel und die eingedrückten Stellen des Pilzes wegschnitt. Anschließend machte sie sich daran, die grüne Wachquaste mit Hilfe des Pinsels zu reinigen und die Reste der Erde zu entfernen. Dann schnappte sich die Alte ein kleines Messer und schnitt den Pilz in Würfel, die daraufhin in einen Mörser wanderten. Mit einem Schuss Wasser zerquetschte sie die Stücke zu einem Brei. Sie nahm ein sauberes bauchiges Glas aus der Spüle und platzierte es über einer Kerze. Behände gab Ferisea den Brei in ein Glas, damit sie die Essenz über der Destille extrahieren konnte. Die Auffangschale war bereits am anderen Ende der Röhren bereitgestellt.

"Noch etwas Geduld und dann können wir ihm die Essenz der Wachquaste verabreichen", sagte Ferisea.

"Und du meinst er wacht auf?"

"Ich meine nicht, ich bin mir dessen sicher."

Dampf begann sich in den Röhren zu bilden. Dalindra wanderte näher und ihre Augen wurden größer. Ferisea schob sie zurück. "Wenn du meine Behältnisse umwirfst, bei den Blitzen, dann kannst du was erleben!"

"Ist gut, ist gut." Dalindra ging wieder auf Abstand, doch ihre Augen blieben groß.

Die Kerze brannte. Der Brei blubberte. Der Dampf fing sich in dein Röhren und die Tropfen, die am Ende in die Auffangschale fielen, bildeten sich nur schleppend. Die Zeit verging und die Kerze war fast bis zum Ende des Dochtes abgebrannt. Langsam bildete sich ein kleiner blass-grün schimmernder See in dem Schälchen und der Dampf verfärbte sich allmählich dunkel.

"Es ist langsam an der Zeit", sagte Ferisea. "Wir haben genug Flüssigkeit und der Pilzbrei ist ausgekocht. Wenn wir noch länger den dunklen Dampf einfangen, dann wird die Essenz trübe und toxisch."

Aufgeregt sprang Dalindra  vom Hocker, auf den sie sich zuvor niedergelassen hatte. "Was soll ich tun?"

"Du gar nichts. Gib mir die Pipette und mach einen der Lappen mit Wasser nass."

Ferisea nahm die ganze Flüssigkeit mit der Pipette auf, während Dalindra den Lappen in Wasser tränkte und fest auswand.

"Leg ihm den Lappen sanft über sein Gesicht."

Nun beträufelte Ferisea den Stoff mit der grünlichen Essenz.

"Was jetzt?", fragte Dalindra?

"Warten."

- VII -

Nach und nach verdichteten sich die Wolken über dem Weitwasser und die Luft wurde zunehmend schwüler. Dalindra beobachtete, wie die Fischer ihre Boote in Richtung der Anlegestelle lenkten. Der Wind nahm zu und die bereits vertäuten Boote schaukelnden zusehendes an der aufgescheuchten Wasseroberfläche. Schließlich erreichte der Wind auch das Haus der Heilerin und ließ die geöffneten Fensterläden krachend gegen den Rahmen schlagen.

"Schließ mir die Fenster, Dalindra."

Die Druidin stand auf, um die Fenster zu schließen und erhaschte noch einen genaueren Blick auf den See. Die Wolken waren schwarz und das unruhige Wasser war von so dunklem Blau, dass man meinen konnte, man starrt in den Nachthimmel. Immer wieder leuchtete es in den Wolken auf und als langsam die ersten dicken Regentropfen herabfielen, bewegten sich die Fischer in ihren Booten noch hastiger, um an das Ufer oder an den Steg zu kommen. Dalindra schloss das Fenster. Das Gefühl des Unwohlseins, welches in ihr heranwuchs, wie die Gewittertürme über der dunklen Wasseroberfläche, verstärkte sich. Alle Boote waren mittlerweile angelegt. Nur noch eines trieb am See. Auf dem Boot erkannte Dalindra die Silhouette eines Fischers mit einem Kind.

Plötzlich, ein gleißender Lichtstrahl, begleitet von einer krachenden Schallwelle. Blitz und Donner, gefühlt mächtig genug, um einem Berg die Spitze seines Gipfels abzusprengen, zerfetzten die frühabendliche Luft. Funken, da wo das Boot war. Ehe Dalindra ihrer Benommenheit Herr wurde und sie wieder scharf sehen konnte, ein zweiter Blitz. Genauso schockierend und kraftvoll wie der Erste. Und als sie kurz darauf realisierte, dass der Blitz auf dieselbe Stelle einschlug, krachte mit einem Donnern ein dritter Blitz in ebendiese Passage des Wassers.

Das Sausen in ihren Ohren betäubte sie. Ihre Augen tränten von der Helligkeit. Als die verschwommene Sicht gewichen ist, war das Boot von der Wasseroberfläche verschwunden. Der Wind wurde noch stärker und die Wolken brachen. Fontänen von Wasser schossen herab. Dalindra erzitterte innerlich und in dem Moment, als sie wieder zu klarem Verstand kam und sich zu Ferisea wenden wollte, um von dem Boot zu berichten, erfüllte die Hütte ein fürchterliches Schreien. Der Fremde war erwacht. Er saß aufgerichtet mit angsterfülltem Blick im Bett. Kalter Schweiß lief ihm über Stirn und Brust. Er schrie aus voller Lunge. Furchtentbrannt und anhaltend. Laut wie der Donner. Und sein Blick war dunkel wie die Gewitterwolken über dem See.

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